Harmonie, Bonn, 25.02.2007
von Rainer Peschen
(veröffentlicht bei www.home-of-rock.de)

Mitch Ryder auf Deutschland-Tournee. Man stellt erstaunt fest, dass
er uns in diesem Jahr, gezählt seit dem "Legendary Full Moon Concert"
in der Essener Grugahalle, bereits zum 19ten mal besucht. Eine schöne
und immer wieder willkommene Angewohnheit, denn der Mensch braucht eben
auch stabile Konstanten in seinem Leben.
Kaum jemand konnte damals, heute vor beinahe 28 Jahren, erahnen, welche
Tragweite seine Performance beim fünften Rockpalast-Festival hatte,
niemand vor dem heimischen Fernseher wusste von den Dramen, die sich noch
kurz vor dieser bizarren Show Backstage nach dem "Interview" mit Alan Bangs
abspielten. Nein, Mitch Ryder wollte in dieser Nacht keinen leichten Mainstream,
er wollte provozieren, anstacheln, einfach zuschlagen, der Welt zeigen,
wo der "Rock 'n' Roll weh tut". Kick Ass!! Eine, trotz gehörigem Alkoholkonsum,
bewusste Abkehr von den Spielregeln! Mehrmals drohte der Auftritt zu kippen.
Ein Rock 'n' Roll-Babylon! Viele Zuschauer wandten sich völlig verwirrt
ab, doch nach diesem Gig gewann Ryder eine schier unverwüstliche Anhängerschaft
in Deutschland. 16 Alben (ohne Compilations) hat er nach seinem Comeback
herausgebracht, aber noch immer zählt der mittlerweile 62jährige
zu den Geheimtipps, sein Bekanntheitsgrad ist hierzulande in all den Jahren,
trotz der vielen Tourneen und Veröffentlichungen, so gut wie gar nicht
gestiegen. Immer kritisch gegenüber der amerikanischen Politik machte
er sich auch in seinem Heimatland kaum Freunde. Dort wird er immer noch
als der Star aus den guten alten Zeiten gefeiert, das Publikum schreit
nach den "New Voice-Oldies", niemand will dort seine "European-Songs" hören.
Schon seit langem bezeichnet er Deutschland als seine musikalische Heimat.
Waren seine Shows in den achtziger Jahren hierzulande noch immer ein
Balanceakt zwischen Genialität auf der einen und einem Desaster auf
der anderen Seite, gibt er sich heutzutage weitaus gelassener, er scheint
mit sich selbst im reinen und gibt selbst der jeweiligen Lokalpresse bereitwillig
Interviews, geduldig ist er für die Fans backstage für einen
Smalltalk zu haben. Die Performance und der Mensch William Levise, Jr.
sind kalkulierbarer geworden. Nicht aber seine Musik und seine Songinterpretationen,
so wusste er auch hier in Bonn, übrigens wenige Stunden vor seinem
62sten Geburtstag, mit einer Setlist wie aus einem Guss zu überzeugen.
Unterstützt wurde er, bereits zum zehnten Mal (noch ein Jubiläum,
wenn man die Kurztour im Oktober 2005 mitzählt), von der ostdeutschen
Band ENGERLING.
Auf amerikanische Gastgitarristen wie z.B. Robert Gillespie oder Steve
Hunter verzichtet er mittlerweile, so war auch in diesem Jahr der technisch
brillante Modern Soul-Gitarrist Gisbert Piatkowski mit von der Partie.
Wer in den vergangenen Jahren bereits einige Ryder-Konzerte besuchte,
merkte diesmal von der ersten Show-Minute an: "Heute ist hier irgendwas
anders". Schon der Beginn, "Do You Feel Alright?" vom "La Gash"-Album (1992),
mit langem Keyboard-Intro und fetter Rhythmusgitarre von Heiner Witte,
überzeugte das diesmal doch recht zahlreich erschienene Publikum vollends.
Mitch Ryder, der erst nach dieser Mega-Einleitung die Bühne betrat,
wirkte auch körperlich in Bestform, das war in den letzten Jahren
ja nicht immer der Fall. Bereits nach den ersten Songzeilen hatte er sein
Publikum fest im Griff, kein Wunder bei dieser Voice. Sicher, zu einem
Großteil besteht sein Programm nach wie vor aus Klassikern, wie z.B.
"When You Were Mine", "True Love", "Red Scar Eyes", "War", "Gimme Shelter",
"Heart Of Stone", "Ain't Nobody White" usw. - immer wieder gerne gespielt
und gehört. Doch ist hierbei der Fakt der "jährlichen Rundumerneuerrung"
unabstreitbar, ja, es werden den einzelnen Akteuren gar Raum für spontane
Improvisation geboten und ganze Arrangements werden noch kurz vor Tourstart
umgestrickt.
Mitch Ryder legte schon immer großen Wert auf die individuelle
Kreativität der einzelnen Musiker. So auch bei den vielen Highlights
des Abends: "The Testament" vom "The Acquittet Idiot"-Album, eine überwältigende
Fassung, die uns wahrlich den Atem nahm, oder "Long Neck Goose", ein Klassiker
des "Detroit"-Albums aus dem Jahre 1971, hart, ungeschliffen und rau, gespielt
in immensem Tempo, im Gegensatz dazu nahezu fragil das jazzige "The Jon"
vom Line-Debut "How I Spent My Vacation".
Mitch Ryder nahm uns also an diesem Sonntag für 135 (!) Minuten
wieder mit auf eine weitere Reise durch die Tiefen seiner Seele. Bei seiner
Musik und seinen Texten wechseln seit jeher Licht und Schatten, Hoffnung
und Depression, Laut und Leise, Spaß und Ernst, in den letzten Jahren
allerdings mehr und mehr gespickt mit einer gehörigen Portion Selbstironie.
Es war ein genialer Abend!
Hoffen wir auf weitere Tourneen in den nächsten Jahren (und das
mir vor allem der Süden Deutschlands wieder mit auf dem Tourplan erscheint).
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn die Spatzen und auch
andere "Vögel" pfeifen es bereits von den Dächern: Ende diesen
Jahres geht der Detroiter wieder ins Berliner Studio 1058 um eine neue
CD einzuspielen. Na denn - Welcome again, Mr. Mitch Ryder! |